
Der bewusste Umgang mit Veränderung und Wandel ist eines meiner Lieblingsthemen. Seitdem ich im Januar 2019 einen großen beruflichen Wandel vollzogen haben, über den ich im Februar 2020 einen Artikel geschrieben habe, möchte ich aus der Vogelperspektive über die Phasen des Wandels schreiben. Nun, mit ziemlich genau 24 Monaten Verspätung, könnt Ihr das Ergebnis hier lesen – in der Hoffnung, dass Ihr für Euren eigenen Wandel dadurch klarer sehen könnt – oder Menschen, die diesen Prozess gerade durchlaufen, besser begleiten könnt.
Viele Menschen, wenn nicht sogar die meisten, träumen von einem bequemen und vorhersehbaren Leben. Diese menschliche Sehnsucht nach Sicherheit und Beständigkeit steht im krassen Gegensatz zur Natur des Lebens. Wie sagte doch der weise Heraklit von Ephesus vor über 1.500 Jahren: „Nichts ist so beständig wie der Wandel“.
Als ich in den letzten Monaten intensiv über meine eigenen Lebenswandel reflektierte, sah ich mit einigem Erstaunen, dass sie immer nach dem selben Muster abgelaufen sind. Das ist für Organisationsentwickler eigentlich nichts Neues – aber es hat eine andere Qualität, wenn Buchwissen zu einer körperlich spürbaren Selbsterkenntnis wird!
Der Wandel ist ein Prozess, bei dem jede Phase nacheinander durchlaufen und manchmal durchlitten wird. Dazu ist mir ein Zitat eines Change Managers hängen geblieben: „Wenn es nicht weh tut, dann war es kein Wandel“.
Geliebte Komfortzone
Ausgangspunkt für jeden Wandel ist ein Ort, den wir auch das „lokale Optimum“ oder Komfortzone nennen können. Hier hast Du es Dir gemütlich eingerichtet. Du bist in einer vertrauten Umgebung mit vertrauten Menschen in Deinem Dir vertrauten Beruf, das spendet Sicherheit und Stabilität.
Wenn Du von diesem Ort aus Veränderungen anstrebst, dann sind das eher „horizontale“ Verbesserungen: Du machst mehr vom Gleichen, Du optimierst das Bestehende, Du wirst effizienter. Vielleicht wirst Du besser in Deinem Beruf. Oder Du versuchst Dich an einem neuen Hobby, einer neuen Diät, einer neuen Sportart. Insgesamt aber bleibst Du in bekannten Bahnen und Dein Hauptproblem ist die Gehaltserhöhung oder der nächste Urlaubsort.
Ganz ehrlich – da willst Du eigentlich nie raus. Aber irgendwann einmal passiert es doch. Und dann betreten wir den Wandel-Prozess mit der ersten Phase:
1. Veränderungsdruck – von schleichend bis schock-schnell
Wenn Du meinst, es würde sich für Dich niemals etwas verändern (höchstens für die anderen), dann hast Du die Rechnung nicht mit dem Leben gemacht.
Für manche kommt die Veränderung plötzlich und unverhofft von Außen – der berühmte Schlag des Schicksals, wie beispielsweise eine Krankheitsdiagnose, Tot, Unfall, Jobverlust oder Trennung.
Für andere kommt der Wandel von Innen, durch eine Veränderung in der Lebenseinstellung. Das kann auch durch die intensive Beschäftigung mit der eigenen Persönlichkeit oder dem eigenen Leben geschehen. Auch die Geburt eines Kindes hat großes Potenzial für Veränderungen. Dann wächst der Veränderungsdruck nach und nach – bis es nicht mehr auszuhalten ist.
Die Freude an der bisherigen Komfortzone lässt nach, es stellen sich Gefühle der Leere, Langeweile oder Sinnlosigkeit ein.
2. Kräfteraubendes Festhalten
Anstatt die unvermeidbare Veränderung zu begrüßen, investierst Du alle Kraft, um an der Komfortzone und ihren Vorzügen fest zu halten: Du verleugnest Deine Wahrnehmung, verbiegst Dich, versuchst die Umwelt zu verbiegen. Das zehrt immer mehr von Deiner Kraft.
Auch wenn Du Dich noch so fest hältst, die Augen verschließt und weiterhin so tust, als würde sich das alles schon wieder richten – der Prozess der Veränderung schreitet unbeirrt weiter: in Deiner Umwelt, in Deinen kreisenden Gedanken oder in Deinem Unterbewusstsein.
Vielleicht fühlst Du Dich immer fremder in Deiner Haut. Es fällt Dir immer schwerer, die bekannten Wege zu gehen. Du bist mit den Gedanken immer weniger bei der Sache, spürst eine dumpfe dunkle Schwere.
Irgendwie willst Du weg und gleichzeitig hier bleiben. Der Gedanken, Dich zu verändern, macht Dir Angst. Angst vor dem Unbekannten, vor dem Allein- und Ausgeschlossen-Sein, Angst um Deine finanzielle Existenz. Es ist die Zeit der Zweifel und „Abers“.
Diese kräftezehrende Phase kann von „sehr kurz“ bis mehrere Jahren dauern. Die Begleitung durch ein Coaching kann eine erhebliche Abkürzung sein.
3. Loslassen
Irgendwann ist dann der Punkt erreicht, an dem Deine Beharrungskräfte nicht mehr ausreichen. Wie vom Blitz getroffen stellst sich die Erkenntnis ein, dass Du nicht mehr festkrallen kannst. Du lässt los!
Manche Beobachter werden Dich für Deinen Mut bewundern, Dich dem Wandel hinzugeben und das Altbekannte los zu lassen. Aber Hand aufs Herz: Das hat nichts mit Mut zu tun, sondern es geht schlicht und einfach nicht anders…
4. Im dunklen Tal der Tränen
Du weisst, es gibt keinen Weg zurück. Gleichzeitig hast Du keine Ahnung, wie es weiter gehen kann. Diese Unsicherheit macht Angst. Du betrauerst den Verlust an Sicherheit und alles, was Du aufgegeben hast. Du wünschst Dir mehr als einmal, Du wärst wieder zurück in Deinem alten Leben. Vielleicht beneidest Du auch Menschen, die fröhlich in ihrer Komfortzone leben – während Dein Leben plötzlich voller Unsicherheiten ist. Willkommen im „Tal der Tränen“.
Diese Phase ist sehr unangenehm. Kein Wunder, dass viele Menschen jeden rettenden Anker ergreifen um so schnell als möglich aus dem Tal zu flüchten. Wer hier allerdings zu schnell den Ausweg sucht, der bringt sich um die Möglichkeit der inneren Reifung. Auch wenn Du nach dem schnellen Griff zum rettenden Strohhalm erst einmal erleichtert aufatmest – viele sehen sich kurz danach mit Gefühlen von Enttäuschung und Leere konfrontiert.
Die Qualität Deines Wandels steigt, umso länger Du diese unangenehme Zeit aushält. Was hier gefordert ist, ist die „Ambiguitäts-Toleranz“ – also die Eigenschaft, es auszuhalten, dass man mangels Klarheit keine Entscheidung treffen kann. Umso länger Du in dieser Unentschiedbarkeit bleibst, desto mehr blättert Dein altes Leben von Dir ab und Du kannst innerlich reifen.
Ich selbst bin in dieser Phase über ein Jahr geblieben, nachdem ich von meinen bisherigen Beruf und meiner Position als Geschäftsführer losgelassen habe. Und ich kann bestätigen, dass ich das Tal der Tränen als sehr(!) unangenehm empfunden habe. Immer wieder redete ich mir ein, dass ich „durch“ bin und endlich wüsste, was ich mit meinem Leben anfangen möchte. Aber – Pustekuchen! In dieser Phase werden noch keine wirklich dauerhaften und guten Lösungen gefunden.
Bevor gute Lösungen auftauchen, erfordert es von Dir, das Du Dein altes Leben mit all seinen Vorzügen ausgiebig betrauerst. Solange, bis Du emotional akzeptieren kannst, dass diese Zeiten ein für alle mal vorüber sind. Mein Geheimrezept dazu sind Reflexion, Austausch mit anderen Menschen, viel innere Arbeit, Waldspaziergänge, Coaching, bewusste Stunden des Alleinseins, Meditation und alle Gefühle zulassen.
5. Keimende Hoffnung und Ausprobieren
Wenn Du genug betrauert und innere Arbeit geleistet hast, dann wird der Weg frei für Neues. Auch wenn Du immer noch nicht weisst, was und wie genau. Du bist frei von altem Ballast, Du hast ein neues Bewusstsein entwickelt, auf dem Du jetzt Experimente wagst.
Irgendwie gehen plötzlich überall Türen auf, wo Du vorher Wände gesehen hast. Die Welt wird bunter und voller ungeahnter Möglichkeiten. Neugierig schaust Du Dir die Welt hinter den Türen an. Du spürst Leichtigkeit, Hoffnung und Zuversicht, Freude und Tatendrang.
Jetzt wird Deine Intuition, die Stimme Deines Herzens, ein unerlässlicher Kompass, um unter den vielen Türen diejenige zu wählen, zu der Dich Deine Sehnsucht zieht.
6. Klarheit und Fokus
Irgendwann ist auch das Ausprobieren vorbei. Du hast einen Weg gefunden, der zu Deinem neuen Bewusstsein passt. Darauf baust Du Dir etwas Neues auf.
Wenn Du lange genug aufgebaut hast, dann schließt sich der Kreis: willkommen in einer neuen Komfortzone – in der Du bleibst, bis sich ein weiterer Wandel ankündigt…
Wo bist Du im Wandel?
In welchem Wandel befindest Du Dich gerade? Und kannst Du erkennen, in welcher Phase Du steckst? Mich würde sehr interessieren, was mein Artikel mit Dir macht – und freue mich auf Deine Kommentare!
In allen Phasen des Wandels kannst Du Dir durch ein Coaching eine deutliche Abkürzung schaffen. Falls Du das willst, dann schau Dir meine Coaching-Angeboten an!
Und wenn ich schon einmal bei der Eigenwerbung bin: Ein wunderbarer Schritt im Wandel sind auch meine Online-Veranstaltungen „Social Healing“.
Liebe Grüße,
Martin

Martin Bucher
Life- & Familien-Coaching
Ich begleite Organisationen und Menschen bei ihrer Entwicklung. Dabei kann ich auf einen reichhaltigen Schatz an Erfahrungen und fundierten Ausbildungen zurückgreifen.
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Bildquelle: Shutterstock.com /Alberto Andrei Rosu
Hallo Martin,
vielen Dank für diesen Artikel. Ich befinde mich gerade in der Endphase meines Lehramtsstudiums und verorte meine Lebenssituation im Abschnitt „Geliebte Komfortzone“, wobei sich Phase 1 bereits andeutet. Mir tut es gut, deine Beiträge zu lesen. Das hilft, Klarheit im Kopf zu gewinnen.
Über das Thema von Abschnitt „4. Im dunklen Tal der Tränen“ habe ich vor einigen Jahren ein Gedicht geschrieben. Du findest es unter https://sites.google.com/view/baumkunstwerk/gedicht auf meiner Internetseite. Vielleicht gefällt es dir und möglicherweise weckt es auch ein paar Erinnerungen.
Ich wünsche dir viel Erfolg bei deinem Tun. Solche Menschen wie dich braucht unsere Welt gerade dringend.
Schöne Grüße aus Würzburg
Kilian
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