
Wir Eltern leisten unheimlich viel für unsere Kinder. Immer mehr von uns distanzieren sich von autoritären Erziehungsstilen und wollen statt dessen gemeinsam mit ihren Kindern wachsen. Hier tut sich viel Gutes – auch dank der Arbeit vieler Fachautoren und Familientherapeuten, die eine gleichwürdige und gewaltfreie Erziehung vertreten.
Diese Entwicklungen reichen manchen nicht aus. Seit dem Jahr 1994 gibt es Bemühungen, Kindern im Grundgesetz eine Sonderstellung einzuräumen. Zu den Befürworten zählt ein Aktionsbündnis aus Deutschem Kinderhilfswerk, Deutscher Kinderschutzbund und UNICEF Deutschland in Kooperation mit der Deutschen Liga für das Kind. Diese Bemühungen setzt die heutige Regierungskoalition fort, die mit Nachdruck an einer entsprechenden Grundgesetz-Änderung arbeitet.
Auf den ersten Blick sieht dieses Gesetzesvorhaben sympathisch und unterstützenswert aus. Schließlich wollen wir alle, dass es Kindern gut geht. Wieso könnte jemand ernsthaft Einwände gegen die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz haben? Was zuerst unverständlich wirkt, erscheint mir bei näherer Betrachtung durchaus berechtigt.
Gibt es Regelungslücken im Grundgesetz?
Zunächst stellt sich mir die Frage, welche Lücken diese neuen Kinderrechte im Grundgesetz schließen sollen. Verfassungsrechtlich sind Kinder Träger aller Grundrechte: Ihre Würde ist unantastbar, die körperliche Unversehrtheit ist garantiert, die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit sowie Glaubens- und Gewissensfreiheit werden geschützt. Insbesondere steht Kindern nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein umfassendes Grundrecht auf Persönlichkeitsentwicklung zu.
Gleichzeitig schützt das Grundgesetz die Familien und betont die Elternrolle in Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Dem Staat wird ein Wächteramt zugewiesen: Sollten die Eltern ihrer Aufgabe nicht nachkommen, dann muss er eingreifen.
„Pflege und Erziehung sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft“
Artikel 6 Absatz 2 GG
Trotz dieses Schutzes kam es allein im Jahr 2016 zu 22.000 Fällen von schweren Kindesmisshandlungen und 130 getöteten Kinder. Allerdings frage ich mich, was in dieser traurigen Tatsache eine neue Formulierung im Grundgesetz ändern sollte? Ich befürchte, da helfen keine Gesetze, sondern nur ein Bewusstseinswandel der Eltern.
Contra – Was können die Risiken eines Kinderrechte-Paragraphen sein?
Es gibt zahlreiche Kritiker einer Grundgesetzänderung. Dazu gehören Familienverbände wie der „Verband Familienarbeit e.V.“ und der „Familienbund der Katholiken“, Rechtswissenschaftler und Verfassungsrechtler, darunter die ehemaligen Bundesverfassungsrichter Hans-Jürgen Papier und Paul Kirchhof. Letzterer plädiert statt eines einer Grundgesetzänderung dafür, die Wahrnehmung der Kinderrechte zu stärken.
Manche Experten meinen, dass ein Kinderrechte-Paragraph nach hinten los gehen könnte: Er würde nicht nur die Rechte der Eltern beschneiden, sondern sogar die der Kinder schwächen, da eine Änderung am Grundgesetz, auf dem alle anderen Rechtssprechungen basieren, viel Interpretationsspielraum eröffnet mit unabsehbaren Folgen.
Bisher hält sich der Staat aus der Frage heraus, wie eine gelingende Erziehung auszusehen hat. Er bestimmt lediglich, was eine schlechte, das Kindeswohl gefährdende Erziehung ist. Das könnte sich mit einem solchen Kinderrechte-Paragraphen ändern. Wohin das führen könnte? Denkbar ist beispielsweise eine allgemeine Krippenpflicht ab dem ersten Lebensjahr, Kindergartenpflicht oder die Impfung von Säuglingen gegen den ausdrücklichen Willen der Eltern. Alles Themen, die in der Politik durchaus schon diskutiert wurden.
Pro – Was versprechen sich die Befürworter?
Die Befürworter schreiben auf der Webseite des Aktionsbündnisses, dass sich durch die Änderung im Grundgesetz „ein deutliches Signal an die Gerichte, die Regierung, die Parlamente bis hin zur Gemeindeversammlung, an Staatsanwälte, an Organisationen, die mit Kindern arbeiten, beispielsweise in der Kinderbetreuung, und im Idealfall auch an die breite Gesellschaft ginge“. Dem kann ich durchaus Gutes abgewinnen.
Etwas mulmig wird mir allerdings zumute, wenn ich weiter lese, dass auch das Aktionsbündnis nicht genau voraussagen kann, was sich für Kinder konkret ändern würde, „weil das Grundgesetz zwar ein zentraler, aber eben nur ein Baustein des politischen Systems in Deutschland ist“.
Noch kritischer finde ich die Antworten in deren FAQ-Seite über möglichen Änderungen aufgrund des Gesetzesvorhabens:
Eltern müssen bei der Ausübung ihres Rechtes mit abnehmender Bedürftigkeit und wachsender Einsichtsfähigkeit der Kinder deren Rechte berücksichtigen, sie als eigenständige Persönlichkeiten wahrnehmen und sie an allen sie betreffenden Entscheidungen beteiligen.
Aktionsbündnis Kinderechte ins Grundgesetz
Das bedeutet doch übersetzt, dass der Staat zukünftig darüber bestimmt, wie es um die Einsichtsfähigkeit des Kindes bestellt ist und ob die Eltern das Kind wirklich bei Entscheidungen angemessen beteiligt haben.
Für mich ist das ein Horror-Szenario, Staatsbedienstete in die Rolle von „Super-Nannies“ zu versetzen, die darüber wachen, ob ich als Vater meine Kinder in Entscheidungen angemessen beteiligt habe!
Weiterhin schreibt das Aktionsbündnis: „Das Wohlergehen der Kinder ist häufig schon lange in Gefahr, bevor es zu unmittelbarer Gewalt oder extremen Formen der Vernachlässigung kommt. Hier würde eine Grundgesetzänderung Entscheidungsträger bei der Interessenabwägung im Sinne des Kindeswohls stärken“. Das erinnert mich zu sehr an krasse Auswüchse wie in Norwegen, wo der der Staat aufgrund von vermuteter(!) Gefahr den Eltern ihre Säuglinge weg nehmen kann, wie eine ARTE-Doku zeigt.
Was würde wirklich eine Verbesserung für Kinder bringen?
Für mich ist und bleibt die intakte Familie der beste Ort für Kinder. Diesen Ort zu erhalten sollte der Staat fördern, indem er Eltern in ihrer Erziehungspflicht unterstützt, ohne vorschreiben zu wollen, wie sie ihre Pflichten konkret auszufüllen haben.
Natürlich hilft es hier, wenn der Staat den Belangen der Kinder einen viel höheren Stellenwert einräumt als bisher. Dazu schreibt Prof. Dr. Günter Krings MdB: „Das Anliegen, allen politischen Akteuren den hohen Stellenwert der Belange von Kindern vor Augen zu führen, ohne in das austarierte Verhältnis von elterlichem Erziehungsrecht und staatlichen Wächteramt einzugreifen, kann meines Erachtens besser und passgenauer durch Aufnahme einer Staatszielbestimmung umgesetzt werden. Eine Staatszielbestimmung würde dazu beitragen, das Bewusstsein für die Anliegen und Bedürfnisse von Kindern bei politischen Grundsatzentscheidungen zu schärfen.“
Das gefällt mir gut: Das austarierte Verhältnis nicht ins Wanken bringen und gleichzeitig die Kinderrechte stärken.
Allein die personelle Aufstockung der Jugendämter würde schon viel helfen, dass not-leidende Familien besser begleitet werden könnten. Und gleichzeitig könnte der Staat Elternbildung unterstützen, Familienberatung- und Familiencoaching fördern, Jugendämter personell aufstocken, das Bildungssystem reformiert, gesellschaftliche Diskussionen anstossen… – zu tun gäbe es genug.
Statt eines Gesetzes braucht es einen Bewusstseinswandel!
Noch betont unsere Leistungsgesellschaft die Karriere vor den Kinder. Es bleibt ein Spagat, Familie und Beruf zu vereinbaren. Erfreulich finde ich, dass immer mehr Väter Elternzeit nehmen – hier beginnt ein Umdenken.
Allein die Diskussion über das Wohl und Wege von Kinderrechten im Grundgesetz bringt die Belange von Kindern in den Fokus der Öffentlichkeit und unterstütz damit den Bewusstseinswandel. Aber es braucht noch viel mehr: Die Abkehr von „Karriere vor Kindern“, bessere finanzielle Förderungen von finanzschwachen Familien und viel Arbeit an der Persönlichkeit von uns Eltern.
Dafür muss aus meiner Sicht der Staat noch mehr Räume eröffnen. Träume darf man ja haben:
- Wie wäre es, wenn beide Elternteile generell ohne finanzielle Einbußen Teilzeit nehmen könnten, damit die Betreuung des Nachwuchses besser zwischen Mutter und Vater aufgeteilt werden kann?
- Wie wäre es, wenn allen Eltern Gutscheine für Elternkurse oder Kurse zur Persönlichkeits-Entwicklung angeboten würden, die das Bewusstsein für eine gewaltfreie und gleichwürdige Elternschaft fördern? Wie wäre es, wenn durch staatliche Förderung solche Kurse in Wohnortsnähe entstünden?
- Wie wäre es, wenn Familienberatungen und Angebote wie der online-familiencoach.de kostenfrei allen Eltern zur Verfügung stünden?
- Wie wäre es, wenn Kinderbetreuer und Lehrer (und Politiker) eine Ausbildung in Gewaltfreier Kommunikation bekommen würden?
DAS würde nicht nur den Kindern, sondern der gesamten Gesellschaft zugute kommen.
Fazit – Keine Kinderrechte im Grundgesetz!
Ich spreche mich klar gegen die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz aus. Die positiven Effekte für Kinder sind mir zu gering angesichts der Risiken für Familien von Seiten eines übergriffigen Staates. Wie ich oben geschrieben habe geht eine kinderfreundliche Politik auch ohne Grundgesetzänderung.
Wenn Du mir zustimmst, dann unterschriebe bitte die ePetiton im Deutschen Bundestag – bis 5. Mörz 2020 fehlen noch tausende von Unterschriften!
Willst Du noch ausführlicher darüber lesen, empfehle ich Dir das Dokument vom Familienbund der Katholiken.

Martin Bucher
Life- & Familien-Coaching
Ich begleite Organisationen und Menschen bei ihrer Entwicklung. Dabei kann ich auf einen reichhaltigen Schatz an Erfahrungen und fundierten Ausbildungen zurückgreifen.
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Bildquelle: nitpicker / Shutterstock.com